Human Centric Lighting
In Zeiten, in denen die meisten Menschen einen Großteil des Tages in geschlossenen Räumen verbringen, steht die Beleuchtungsindustrie vor der Herausforderung, Lichtlösungen zu entwickeln, die neben reinen Sehaufgaben und Energieeffizienz noch eine dritte Dimension einbeziehen: Den Menschen und seine biologischen Lichtbedürfnisse. Dieser Ansatz namens Human Centric Lighting umfasst Beleuchtungslösungen, die dem natürlichen Tageslichtverlauf und damit dem ursprünglichen biologischen Rhythmus des Menschen nachempfunden sind. Sie regulieren den Tag-Nacht-Rhythmus, bestimmen die Ausschüttung verschiedener Hormone und wirken sich damit direkt auf unsere Konzentrations- und Leistungsfähigkeit, auf unsere Stimmung und sogar auf die körperliche Genesung aus. Spätestens nachdem 2002 im Auge ein dritter Fotorezeptor entdeckt wurde. Bis dahin waren nur zwei Sorten von Rezeptoren bekannt: Zapfen für das Farbsehen und lichtempfindlichere Stäbchen, die das Sehen bei geringer Beleuchtungsstärke ermöglichen. Beim dritten Fotorezeptor handelt es sich um spezielle Ganglienzellen in der Netzhaut des Auges, die nicht dem Sehen dienen. Sie enthalten das lichtempfindliche Pigment Melanopsin und reagieren sehr sensibel auf Blauanteile im Licht. Die Fotorezeptoren verfügen über einen direkten Draht ins Gehirn: Über den retino-hypothalamischen Trakt sind die Ganglienzellen direkt mit der sogenannten Master Clock – dem suprachiasmatischen Nucleus (SNC) –, die wie ein Dirigent die vielen inneren Uhren des Körpers koordiniert, mit der hormonproduzierenden Zirbeldrüse und dem Hypothalamus verbunden. Dieser ist das wohl wichtigste Steuerzentrum des vegetativen Nervensystems. Durch diese enge Verknüpfung wird deutlich, wie sehr der Mensch von Licht beeinflusst wird.
Human Centric Lighting umfasst die Entwicklung und Umsetzung von biologisch wirksamer Beleuchtung, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Maßgeblicher Faktor dabei ist der sogenannte circadiane Rhythmus: Dies bezeichnet den Rhythmus innerhalb eines Zeitraumes von 24 Stunden, sozusagen die „innere Uhr“, nach der Körper und Geist funktionieren. Dieser Rhythmus richtet sich nach dem Tageslicht und sorgt für die Wach- und Schlafphasen des Menschen. Im Laufe eines Tages durchläuft der Körper zudem vielfältige Phasen von Leistungshochs und -tiefs, von wechselnden Stimmungen und Bedürfnissen, die auf diverse Hormonausschüttungen zurückzuführen sind. Das Tageslicht ist dabei der „Taktgeber“. Human Centric Lighting beschäftigt sich mit der Möglichkeit der „circadianen Beleuchtung“, einem Lichtkonzept, dass das Tageslicht weitestgehend imitiert. Dies ist eine äußerst komplexe Aufgabe, da das Tageslicht nicht allein durch Helligkeit bestimmt ist, sondern auch durch Dynamik, Verlauf und Lichtfarbe. Erst seit einigen Jahren ist es technologisch möglich, eine biologisch wirksame Beleuchtung in Innenräumen umzusetzen. Verschiedene Studien belegen die Wirksamkeit: In Büros sind Mitarbeiter leistungsfähiger und konzentrierter, das allgemeine Wohlbefinden und die Motivation steigen. In Schulen kann die Konzentration von Schülern durch Beleuchtung gestärkt werden, in Kliniken können Ängste abgebaut und die Genesung gefördert werden, Pflegeheime verzeichnen einen Anstieg der Konzentration bei Demenzkranken und einen verbesserten Tag-Nacht-Rhythmus.
Die Beleuchtung in Kliniken muss vielfältigen Ansprüchen genügen: Bei medizinischen Untersuchungen wird eine Beleuchtungsstärke von rund 1000 Lux empfohlen, im Patientenzimmer genügen rund 100 Lux. Im Operationssaal sind Beleuchtungsstärken von 2000 Lux erforderlich, wobei minimalinvasive Eingriffe wiederum bei geringeren Beleuchtungsstärken durchgeführt werden, damit die Kontraste auf dem Monitor besser sichtbar sind. Diese Werte beziehen sich auf rein funktionale Sehaufgaben, die für den Klinikbetrieb unabdingbar sind. Human Centric Lighting verfolgt den Beleuchtungsansatz über diese Sehaufgaben hinaus. So kann das mangelnde Tageslicht bei bettlägerigen Patienten beispielsweise zu einer Verschiebung des Tag-Nacht-Rhythmus führen. Mit einer biologisch wirksamen Beleuchtung werden die Folgen wie Schlaflosigkeit oder nächtliche Unruhe oft verhindert. Bei ärztlichen Untersuchungen wirkt warmtoniges Licht beruhigend, sodass Ängste allein durch die Lichtstimmung gemildert werden und die sterile Krankenhausatmosphäre in den Hintergrund rückt. Nicht nur für die Patienten, auch für das Krankenhauspersonal kann Human Centric Lighting für mehr Wohlbefinden am Arbeitsplatz sorgen. Besonders im Nachtdienst arbeitendes Pflegepersonal profitiert von hohen Lichtintensitäten, die die Melatoninproduktion hemmen und somit für mehr Wachheit und Konzentration sorgen.
Ähnliches, wenn auch mit anderen Anforderungen, gilt für Büroarbeitsplätze. Studien zeigen, dass Mitarbeiter sich mit einer biologisch wirksamen Beleuchtung wohler und konzentrierter fühlen. Die Aufgabe von Human Centric Lighting ist es, das natürliche Tageslicht in Innenräumen möglichst genau zu imitieren. Da die meisten Bürogebäude Zugang zu Tageslicht haben, gilt es, dieses über Sensoren zu ermitteln und Kunstlicht gezielt und zum Rhythmus passend zuzuschalten. Dabei geht es nicht nur um die Helligkeit, ebenso die Lichtfarbe, die sich im Laufe des Tages von kalt zu warm verändert, gilt es zu reproduzieren und auch die Lichtverteilung spielt eine große Rolle, wenn Licht biologisch wirksam sein soll. Hier kommen erneut die dritten Fotorezeptoren ins Spiel: Da diese im unteren Bereich der Netzhaut angesiedelt sind, sollte das Licht möglichst flächig von oben und von vorne einfallen, analog zu einem hellen Tageslichthimmel. Für Büroräume bedeutet dies, dass Wände oder Decken flächig beleuchtet werden sollten. Neben der biologischen Wirkung verbessert diese Art der indirekten Beleuchtung auch die räumliche Wahrnehmung und wirkt im Allgemeinen für den Menschen angenehmer als direkt gerichtetes Licht.
Angesichts der Tatsache, dass biologische und psychologische Erkenntnisse mit technischem Fortschritt Hand in Hand gehen, kommt dem Bereich Human Centric Lighting in der Zukunft immer mehr Bedeutung zu. Biologisch wirksame Beleuchtung kann die Kommunikation verbessern, die Konzentration fördern und die Genesung unterstützen. Sie steigert das Wohlbefinden, welches wiederum Kreativität, Leistungsfähigkeit und sogar Konsumfreude fördert. Eine auf den Menschen und seine biologischen Bedürfnisse abgestimmte Beleuchtung ist also zweifellos ein Zukunftsthema, an dessen Anfang wir uns erst befinden. Der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e. V. (ZVEI) zitiert beispielsweise Studien, die eine Ausstattung mit Human Centric Lighting von 20 Prozent im Gesundheitssektor und von 13 Prozent in Bürogebäuden für das Jahr 2020 prognostizieren.
Quelle: Light + Building Messe Frankfurt 2016
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